Das ein guter Hba1c nicht unbedingt eine gute Blutzuckereinstellung bedeutet, wissen wir. Und dass ein nicht sooo guter Hba1c (und ich spreche hier nicht von Werten jenseits von Gut und Böse) aber auch nicht automatisch auf eine schlechte Blutzuckereinstellung hinweist, weiss ich persönlich besonders gut. Hba1c mal wieder unerwartet hoch?. Unser Körper ist nun mal eben keine Maschine oder Roboter, die sich auf bestimmte Zahlen programmieren lässt.
Heute schreibt Finns Diabetologe Dr. Riedl vom Medicum Hamburg einen Gastbeitrag über zu enge Hba1c Grenzen und falsch interpretierte Werte.
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Was ist ein guter Hba1c—Wert? Diese Frage dürfte eigentlich keine großen Probleme aufwerfen und doch ranken sich Mythen und Fehlinformationen um diesen Laborwert. Neulich saß ein fast Achtzigjähriger bei mir in der Sprechstunde mit Tränen in den Augen. Sein Augenarzt habe ihm mitgeteilt, dass er erblinden werde, wenn sein Hba1c-Wert weiter bei 8% bliebe! Und das, obwohl noch nicht einmal eine Retinopathie hatte. Nicht nur Diabetiker sondern auch Ärzte haben ihr Problem mit dem Hba1c Therapiezielempfehlungen.
Natürlich wird der Achtzigjährige nicht erblinden. Immerhin liegen seine Blutzuckerwerte bei 100- 160 mg/dl – selten mal darüber. Nach den aktuellen Therapiezielempfehlungen steht in seinem Alter sowieso die Unterzuckerungsfreiheit im Vordergrund. Außerdem brauchen Folgeschäden meistens zehn bis 15 Jahre, um gesundheitlich relevant zu werden. Wer also nach 15 bis 20 Jahren keine Folgeschäden aufweist, kann von einer geringen persönlichen Empfindlichkeit ausgehen. Also ein Grund zur Freude! Wenn sich dann bei 20-jähriger Diabetesdauer nicht ein einziger Anhalt für eine Retinopathie zeigt, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Entstehung in der Zukunft sehr gering. Das hätte der Augenarzt dem alten Mann sagen müssen. An diesem Beispiel zeigt sich außerdem, dass sein Hba1c für das Blutzuckerprofil zwischen 100 und 160 mg/dl unerwartet relativ hoch liegt. Man würde eher einen Wert von 7 – 7,5 % erwarten. Hier offenbart sich eine weitere Falle, in die viele Ärzte und Diabetiker tappen, wenn es um die Bewertung der verzuckerten roten Blutkörperchen geht. Zwei Menschen mit demselben Zuckerprofil können total verschiedene Hba1c – Werte haben. Ich erinnere mich an einen berenteten Polizisten, der bei ähnlicher Einstellung einen Hba1c-Wert von 4,6% hatte. Bei einem Patienten aus Afrika konnte ich 9,6% messen. Diese beiden Beispiele sind zwar extrem, zeigen aber, dass der alleinige Blick auf den Hba1c eine Bewertung der Blutzuckergüte verfälschen kann.
Menschen, die anlagebedingt einen eher niedrigen Wert aufweisen, freuen sich dabei manchmal zu Unrecht über eine sehr gute Einstellung. Besonders betrübt es mich aber, wenn ich ehrgeizige Patienten betreue, die alles richtig machen, eine sehr gute Einstellung haben – jedoch nie einen Hba1c-Wert unter 7,6% bekommen. Dann ist es sehr schwierig, die Traurigkeit über eine vermeintlich schlechte Einstellung zu vertreiben. Diese Menschen sind nicht selten unnötigerweise unglücklich über eine „schlechte“ Diabetestherapie. Das Dogma „je niedriger desto besser“ ist nicht nur wegen möglicher Unterzuckerungen falsch, sondern auch, weil die meisten Menschen einen individuellen Wertebereich aufweisen. Daher sollte jede strikte Hba1c-Fokussierung auf enge Grenzen der Vergangenheit angehören.
Das erinnert mich an einen anderen Fall: 45jähriger Patient mit anlagebedingt höherem Hba1c von 7,8%. Er übertrieb seine Blutzuckereinstellung derart, um auf 6,5 % zu kommen, dass er seine Wahrnehmung für Hypos komplett verlor. Er ist vollkommen unterzuckert mit Vollgas auf der Autobahn in den vor ihm fahrenden Wagen gerast. Wie durch ein Wunder ist niemand dabei gestorben.